Critics Back

[DE] Nach “Dem Desetz und Dem Takt Des Schwanzes”, Duśan Brozman, 1995

Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst entstanden in dieser Zeit Arbeiten, die systematisch die traditionelle erotische Motivwelt unterwandern und die Funktionen der Frau in der Gesellschaft in Frage stellen.

Das Werk der Natalia LL (*1937) kreist fast nur um ein einziges Thema: um das eigene erotisch aufgeladene Bildnis. Die Wroclauer Foto-Künstlerin hatte in jener Zeit einen kurzen und umstrittenen Auftritt: Blondschopf mit Zöpfen, nackte Schultern, frontal in die Kamera blickend und eine, zwei, vielleicht drei Bananen zwischen den genusssüchtigen Lippen — nicht in Opferhaltung sondern in bester Laune. Das Pin-up-Girl, dem jede Generation ihre eigene Variante aus dem breiten Fundus erotischer Fantasien hinzufügt, und das mit Andy Warhols MARILYN MONROE, Tom Wesselmanns Serie der BIG AMERICAN NUDES oder Roy Lichtensteins Comics-Heldinnen zu Beginn der 60er Jahre bombastischen Einzug in die Kunstwelt hielt, — ein solches nacktes, zum Verzehr auffordemdes Geschöpf ziert zehn Jahre später Ausstellungswände und Zeitschriftenseiten unter der neuen Rubrik “Frauenkunst”.

Als Narziss an einer Quelle seinen Durst löschen
wollte, verliebte er sich in sein Spiegelbild, nach
dem er sich vor Sehnsucht verzehrte…

Natalias Blick ist frontal in die Kamera gerichtet. In dieser Linse spiegelt und betrachtet sie sich, lacht sich an und bietet sich gleichzeitig dem Publikum dar.
“Danach benennt man Narzissmus die erotische Verliebtheit in die eigene Person, in dem Masse, dass sie selbst letztes Ziel der Sexualität wird. (…) Freud kennzeichnet in seiner Abhandlung diese Anomalie als eine Arbeit aus, die sich von den meisten Exponaten durch ihren Witz und ihre Selbstironie, die zu diesem Zeitpunkt in der frauenspezifischen und feministischen Kunst von Frauen noch sehr selten sind, unterscheidet: się zeigt in einer Fotosequenz zwei Frauen, die gemeinsam mit einer Wurst spielen, die auffallende Ähnlichkeit mit einem Phallus hat. Się nehmen diese Wurst zwischen Lippen und Zähne, lecken und schmecken sie, beissen zum Schluss hinein, und das Ganze mit viel Freude und Spass. Es bleibt unklar: ist dieses Spiel eine Verulkung des Mannes, eine Selbst-Verulkung der Frau, eine Verunglimpfung tradierter Symbole, eine sexuelle Aufforderung oder alles zugleich?”5

DER REAL EXISTIERENDE SOZIALISMUS

Ein gerade für die polnischen Verhaltnisse nicht unwichtiger Aspekt ist das Essen. So heissen viele ihrer Arbeiten CONSUMP-TION ART oder POST CONSUMPTION ART. Eine Banane war damals in Polen kaum aufzutreiben, Natalia LL hatte das exotische Produkt aus der Bundesrepublik Deutschland mitgebracht. Zu den exotischen Früchten zählte genauso die Orange, die in geschälter und aufgebrochener Form die erotische Motivwelt der Künstlerin erweiterte und Eltern wie Kindern vor allem aus dem Fernsehen bekannt war. Aus eigener Erfahrung wusste man damals zwar, was eine Wurst war, doch wollte das teure Stück, so überhaupt vorhanden, geduldig in der Schlange erstanden werden.
Fleisch und Südfruchte, im Westen in rauhen Mengen zu haben, waren in Osteuropa Statussymbole und als solche immer auch ein stummer Vorwurf an die sozialistische Marktwirtschaft. Kennt man bei uns die Österreicher-, Opel Manta- oder Blondinenwitze, kursierten in Osteuropa damals jene über Fleisch und Früchte, wobei unter den Nachbarn das Bruderland Polen aufgrund dessen Versorgungslage oft besonders schlecht davonkam.

Die Darstellung des nackten Körpers in den sozialistischen Ländern zeugte von noch weniger Sinnlichkeit, als etwa die in Bronze gegossenen Mutterfiguren in der Schweiz der 50er Jahre. Sozialistischer Realismus und Einigelungsmentalität kamen sich in diesem Punkt erstaunlich nahe. Erotik, so der Glaube der kalten Krieger, könnte eine vernünftige Gesellschaft auf unkontrollierbare Bahnen bringen und hat deshalb in der Kunst nichts zu suchen. Unter den sozialistischen Ländern fanden sich nur im Kulturschaffen Polens Nischen, in denen Erotik, oft mit Gewalt einhergehend, immer wieder ans Tageslicht drängte. Dies liegt in der äusserst blutigen Geschichte des Landes begründet und findet in Bildern der Aggression und Gewalt gegen den Menschen und damit auch gegen den oft entblössten, weiblichen Körper seinen Ausdruck. Dieser Themenbereich fliesst in eine expressionistische und surrealistische Tradition ein. Parallel dazu verläuft als ausgleichendes Moment eine starkę Tradition der geometrischen Abstraktion.

Natalia LL hat diesem Erbe auf unerwartete Weise ihre Referenz erwiesen: das erotische Moment war ihr überaus wichtig, doch knüpfte sie in ihrer Arbeit an die Ideen der Minimal- und Konzeptkunst an. Ihre Arbeiten rufen ein Kalkül in Erinnerung, wie wir es von den Metallplatten Carl Andre’s oder den Würfeln Sol Le Witts kennen: das minimalistische Prinzip der Reihung gleicher Elemente, der Aufbau eines bildnerischen, räumlichen und zeitlichen Alphabets. Aber dieses besteht nicht aus weissen, zu dreidimensionalen, geometrischen Körpern sich fügenden Stäben, sondern aus Augen, Nase, Mund und Haaren, Zähnen und etwas zum Essen. Einmalige, immergleiche, nicht zu wiederholende und doch zeitlose Augenblicke – der Freude, des Vergnügens und der Wollust — auf dem weissen Grund der Unendlichkeit und des Absoluten. So vereinigt dieses Werk erstaunliche Widersprüche, Traditionen und Tabubrüche. Sowohl im Bereich der feministischen Kunst wie auch in Bezug auf das kulturelle Milieu Polens steht es zwischen allen Stühlen.

Humor und sexuelle Symbolik dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der weibliche Narziss Natalia LL, genauso wie etwa ihr Künstlerkollege Urs Lüthi, ihren sehnsuchtsvollen Blick ins Paradies und in den Tod hinein richten. Was im Frühwerk angelegt ist, bestätigt in beiden Fällen ein Spätwerk, das im Zeichen der Vergänglichkeit von Leib und Schönheit steht.
Duśan Brozman

Footnotes
1 V. Export: Feministischer Aktionismus. Aspekte, w: Frauen in der kunst, Frank­furt a. M.: Surkamp, 1980, p. 152.
2 Bilder: Lexikon, Sexual wissenschaft, tom III, Wien/Leipzig 1930, p. 580.
3 L.R. Lippard: Popart, München/Zürich 1970, p.123.
4 L. R. Lippard: The Pains and Pleasures of Rebirth: Women’s Body Art, „Art in America”, May-June 1976, p. 75.
5 D. Behrens: Frauen-kunstausstellungen im deutsch — sprachlgen raum, eine untersuchung zur rezeption bildender kunst von frauen zwischen 1973 und 1984, Hamburg 1991, p. 311.